Erlebnisse des Arbeiterelends im Scheunenviertel
Gustav Landauer wurde am 7. April 1870 in Karlsruhe geboren und absolvierte dort das Gymnasium bis zum Abitur im Sommer 1888. Sein Interesse an Literatur begründete die Studienwahl Philologie. Sehr früh schrieb er Gedichte und ein Drama, das aber nicht aufgeführt wurde. Nach zwei Semestern an der Universität Heidelberg wechselte er im Oktober 1889 für zwei Semester an die heutige Humboldt-Universität nach Berlin. Für das Wintersemester fand er ein Studentenzimmer in der Auguststraße 66 im 2. Stock. Nebenher schrieb er Kurzrezensionen für das neue Wochenblatt „Deutschland“ des Kritikers Fritz Mauthner. Nach einem kurzen Aufenthalt bei den Eltern in Karlsruhe kehrte er im April 1890 nach Berlin zurück und wohnte bis zum Ende des Sommersemesters in der Auguststraße 55 im Hintergebäude 3. Stock links. Der nun folgende Studienaufenthalt in Straßburg blieb eine kurze Episode und Landauer kehrte im April 1891 wiederum nach Berlin zurück. Nun wohnte er im ersten Stock in der heutigen Torstraße 155. In dieser Zeit war die „Spandauer Vorstadt“ ein vorwiegend von Handwerkern, Kleinbürgern und Arbeitern bevölkertes, hochverdichtetes Quartier, in dem die sozialen Folgen der raschen industriellen Revolution unübersehbar waren. Auf engstem Raum lebten hier die Familien in lichtarmen kleinen Wohnungen, die oft direkt an die Gewerberäume grenzten. Ein Teil der Bausubstanz war noch im 18. Jahrhundert entstanden und völlig überbelegt. Für seinen Entschluss, in der Arbeiterbewegung zu wirken, dürften die in der Spandauer Vorstadt empfangenen Eindrücke des proletarischen Elends mitentscheidend gewesen sein. Keines der Gebäude, in denen er während der Studentenzeit wohnte, blieb erhalten.
Redakteur des „Sozialist“: in Charlottenburg, dem „feinen“ Berliner Westen
Bereits 1891 zog Landauer in den Berliner Westen und mietete ein Zimmer in der Nettelbeckstraße 24, heute nach Kriegszerstörung überbaut durch die Straße „An der Urania“. Rund um den Kurfürstendamm entstanden zu dieser Zeit reine Wohnquartiere mit hohen Standards, die weit bessere Lebensmöglichkeiten boten als die historische Kernstadt. Neben den Wohnungen wohlhabender Großbürger waren hier die Treffpunkte der progressiven Literaten, Künstler und Journalisten, eine kreative Szene, in der sich der junge Landauer, der ab Mitte Februar 1893 die Redaktion des „Sozialist“ übernahm, sicherlich wohl fühlte. Allerdings blieben nur die Hinterhäuser für ihn erschwinglich. Gemeinsam mit seiner Frau konnte er sich am Wittenbergplatz 3 (abgerissen 2012) einrichten, im September erfolgte der Umzug in das Hinterhaus der Marburger Straße 5, das als einziges Gebäude von Landauers frühen Wohnungen im Berliner Westen bis heute erhalten ist. Das sehr repräsentative Vorderhaus täuscht allerdings über den recht engen Hinterhof mit einfacher Fassadengestaltung hinweg. Bereits am 14. Oktober 1893 wurde Landauer wegen Versammlungsdelikten verhaftet und verbüßte anschließend eine elfmonatige Gefängnisstrafe in Sorau.