In der Alten Jakobstraße 91 in Mitte (Foto links) befand sich von 1891 bis 1895 die Redaktion der Zeitung „Der Sozialist“, die zunächst als „Organ der unabhängigen Sozialisten“, später als „Organ aller Revolutionäre“ und zuletzt als „Organ deutscher Anarchisten“ erschien. Nach der Wiedergründung 1895 hatte der „Der Sozialist“ seine Redaktion in der Frankfurter Allee 105 (Foto mittig) und später in der Elisabethstraße 66 in Friedrichshain. 1909 begründete Gustav Landauer den „Sozialist“ als „Organ des Sozialistischen Bundes“ neu. Er konnte bis 1915 erscheinen. Die Redaktionen befanden sich stets in Kreuzberg, von 1911 bis 1914 in der Wrangelstraße 135 (Foto rechts).
Gustav Landauers publizistisches Wirken begann im Februar 1893 mit der Übernahme der Stelle des Redakteurs der 1891 als Organ des „Vereins der unabhängigen Sozialisten“ gegründeten Zeitung „Der Sozialist“. Bis zur endgültigen Einstellung im April 1899 blieb er dem Blatt, zeitweise auch als freier Mitarbeiter, eng verbunden. Gemeinsam mit Albert Weidner und Wilhelm Spohr gelang es ihm, Aktualität und hohe publizistische Qualität zu verbinden. Zwischen 1909 und 1915 gab er den „Sozialist“ als Organ des „Sozialistischen Bundes“ heraus, wobei er die meisten Artikel selber schrieb.
Für die Publizistik des Kaiserreichs stellen die verschiedenen Folgen des „Sozialist“ eine herausragende Leistung dar. So erstaunt noch heute die internationale Bandbreite des Blattes. Landauer hatte zahlreiche Kontakte zu Aktivisten im Ausland und übersetzte aus den ihm verfügbaren Publikationen viele Artikel zu Themen, die in bürgerlichen Zeitungen keine Erwähnung fanden. Zahlreiche Berichte thematisierten die politische und menschenrechtliche Situation auch in Ländern außerhalb Europas. Der Redaktion gelang es beispielsweise im ersten Halbjahr 1897 durch eine umfangreiche Berichterstattung über die Justizgreuel in Spanien, die deutsche Öffentlichkeit über die katastrophale Menschenrechtssituation zu informieren. Kritische Berichte über Arbeitskämpfe weltweit sowie die Lage der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika und in den Kolonien in Afrika sind ebenso vertreten wie Übersetzungen wichtiger politischer Schriften Bakunins und Kropotkins, Gastkommentare von Emma Goldman und der nordamerikanischen Frauenrechtlerin Margaret Fuller. Hinzu kamen literarische Beilagen, in denen Landauer bis dahin in Deutschland unbekannte Texte von Étienne de La Boétie, Oscar Wilde, Walt Whiteman, Rabindranath Tagore u. a. publizierte, die teils von seiner Ehefrau Hedwig Lachmann oder ihm übersetzt wurden.
Zu den Schwerpunkten des Blattes gehörte auch die weltweite wirtschaftliche Entwicklung, die von der beginnenden Globalisierung geprägt wurde. Für Landauer waren diese Prozesse nur dann akzeptabel, wenn ihre Resultate der gesamten Menschheit zugute kamen und sich die soziale und politische Situation aller verbesserte. Sein Ziel war die Schaffung dezentraler und föderalistisch aufgebauter freiheitlich sozialistischer Organisationen, „die den Einzelnen ohne Zwang der Gemeinschaft integrieren“ können.